Blutkörperchensenkungs-Geschwindigkeit (BSG)

Die folgende Informationen zur Methodik und Interpretation der BSG basieren auf einer Aussendung von

Dr. F. Holzweber an die Einsender seines Labors in Villach. Wir danken Dr. Holzweber für die freundliche Genehmigung, seine ausgezeichneten Unterlagen für unsere Informationszwecke nutzen zu dürfen.

Einleitung

BSG = BSR (Blutkörperchen-Senkungs-Reaktion)

Alf Westergren veröffentlichte in seinen Artikeln „Die Senkungsreaktion“ (1924) und „The technique of  the  red  cell  sedimentation  reaction“  (1926)  eine  manuelle Methode  zur  Bestimmung der  BSG,  die über viele Jahrzehnte Bestand haben sollte. Bis in die 90er Jahre galt die Westergren-Methode als „die Standardmethode“, von der abgeleitet eine Vielzahl modifizierter BSG-Methoden entwickelt wurden. Um eine   bessere   Vergleichbarkeit   zu   erreichen, wurde   schließlich   über   Empfehlung   der   ICSH   eine Referenzmethode erarbeitet, die als Standard für alle in der Routine etablierten Methoden gelten soll.

NCCLS. Reference and Selected Procedure for Erythrocyte Sedimentation Rate (ESR) Test; Approved

Standard – Fourth Edition. NCCLS document H2-A4 (ISBN 1-56238-424-4). USA 2000

Wesen der BSG

Obwohl die BSG bereits über 80 Jahre alt ist und zu den am häufigsten durchgeführten Labortests gehört, wird das Phänomen der Erythrozytensedimentation auch heute nur teilweise verstanden.

Einflussgrößen auf die BSG

Erythrozytenaggregation, Hämatokrit, Plasmaviskosität, Temperatur, Erythrozytenform und   –größe, Dichteunterschied von Erythrozyten und Plasma, Zusammensetzung des Plasmas, elektrische Ladung der Erythrozyten, Geschlecht und Alter.

Erythrozytenaggregation

Die Beschleunigung der BSG hängt in hohem Maße mit dem Grad der Ausbildung von Erythrozytenaggregaten zusammen. Eine veränderte Zusammensetzung der Plasmaproteine – speziell die Erhöhung der Konzentration an „Akutphasenproteinen“ bei entzündlichen Prozessen und der damit hervorgerufenen Dysproteinämie – trägt besonders zur Erythrozytenverklumpung bei. Vor allem erhöhte Spiegel an Fibrinogen und in geringerem Ausmaß IgM und a2-Makroglobulin sind aufgrund ihrer Fähigkeit zur Brückenbildung (= Agglomerine) starke BSG-Beschleuniger. Hypoalbuminämie trägt ebenfalls mäßig zur BSG – Erhöhung bei. IgG ist nur in hohen Konzentrationen in der Lage, die BSG zu beschleunigen. Bei Werten > 20 g/l ist häufig eine Sturzsenkung (> 120 mm/h) zu beobachten.

Hämatologische Besonderheiten

  • Anämien (Hämatokrit) verursachen per se eine BSG – Beschleunigung, wobei dies bei makro–/megalozytären Anämien stärker ausgeprägt ist als bei Fe-Mangel.
  • Eine Verlangsamung der BSG wird verursacht durch: Polyglobulie/-zythämie (hoher Hämatokrit), Formveränderungen der Erythrozyten wie die Sphäro-/Mikrozytose, Akanthozytose, Stomatozyten, Sichelzellen u. Thalassämien; extreme Leukozytose
  • Eine ausgeprägte Anisozytose kann mitunter die Ablesung der BSR durch das Phänomen der „Schleiersenkung“ erschweren, die durch die Ausbildung unterschiedlich großer Erythrozyten– Aggregate verursacht wird.

Weitere Ursachen für erhöhte BSG

  • Hyperlipoproteinämien (speziell Chylomikronämie)
  • Hypothyreose
  • Chronische Niereninsuffizienz
  • Gravidität (ab der 4. SSW bis max. 45 mm/h eine Woche postpartal)
  • Temperaturerhöhung am Arbeitsplatz (27°C führt zu einer Verdoppelung der BSG)

Weitere Ursachen für erniedrigte BSG

  • Ausgeprägte Cholestase
  • Akute Hepatitis
  • Kachexie
  • Hypo- und Afibrinogenämie, Hypo- und Agammaglobulinämie
  • Neugeborene (hoher Hämatokrit u. tiefe Fibrinogenwerte)

Indikation und Wertigkeit

Unspezifischer Suchtest bei Verdacht auf entzündliche Erkrankungen und zu deren Verlaufsbeurteilung.

Die BSG ist nur dann ein verlässlicher Indikator für ein entzündliches Geschehen, wenn dadurch, wie eingangs erwähnt, eine Dysproteinämie resultiert und das rote BB weitgehend normal ist. Bei akut– entzündlichen Prozessen ist die BSG aufgrund der verzögerten Reaktion von ca. 24h der CRP-Bestimmung deutlich unterlegen.

Einen besonderen Stellenwert hat die BSG bei chronisch entzündlichen Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis (SLE, Polymyalgia rheumatica, RA, Arteriitis temp.).

Neuerdings wurde die BSG als hilfreich beschrieben bei der Osteomyelitis und in Situationen  wie Schlaganfall und KHK.

Die BSG ist kein universeller Krankheitsindikator, denn eine normale BSG schließt auch gravierende Erkrankungen wie Neoplasien nicht aus und umgekehrt lassen sich etwa 5% aller BSG-Erhöhungen nicht abklären. Eine mäßig erhöhte BSG ist dann abzuklären, wenn sich ein Krankheitsbezug herstellen lässt. Speziell bei gesunden Personen sollte eine unkritische Anforderung der BSG nicht erfolgen.

Zusammenfassung der Aussagen aus: „Die erhöhte Blutsenkungsreaktion

P.H. Lessing, S. Delmenico; Medizinische Klinik, Kantonsspital Aarau; Praxis, Schweiz. Med. Forum 2007;7;765-769

  • Die BSG ist nicht zum Screening von klinisch Gesunden geeignet
  • Die BSG sollte nicht zum „Aufnahmeroutineprogramm“ gehören
  • Eine bei asymptomatischen Probanden diagnostizierte, mäßig erhöhte BSG sollte beim Fehlen anderer pathologischer Befunde und einem normalen körperlichen Untersuchungsergebnis keine sofortige weitere Diagnostik, sondern einen erneuten klinischen Status sowie eine Kontrolle der BSG nach einigen Wochen nach sich ziehen.
  • Bei ungeklärten Symptomen oder einer allgemeinen Verschlechterung sowie dem Verdacht auf entzündliche, infektiöse oder maligne Prozesse und beim Versagen anderer diagnostischer Mittel kann die Bestimmung der BSG nützlich sein.
  • Die BSG ist ein wichtiges Kriterium zur Diagnose sowie zur Verlaufskontrolle von Riesenzellarteriitis/Arteriitis temporalis und Polymyalgia rheumatica.
  • Die BSG ist zudem ein Kriterium zur Aktivitätsbestimmung der rheumatoiden Arthritis und anderer rheumatologischer Erkrankungen.
  • Die BSG lässt sich beim Mb. Hodgkin als prognostischer und als Verlaufsparameter nach der Therapie einsetzen.
  • Die BSG kann beim Verdacht auf einen Infekt in spezifischen Situationen, zum Beispiel in der orthopädischen Chirurgie oder bei der Pelvic inflammatory disease, angewendet werden.
  • Die BSG ist von Bedeutung bei der Beurteilung älterer Patienten mit vagen Symptomen, einer unergiebigen Anamnese und klinischen Untersuchung sowie einer moderaten bis hohen Wahrscheinlichkeit einer zugrundeliegenden Erkrankung.

Routinemethoden

Routinemethode nach Westergren

Die Westergren-Methode ist der Goldstandard für die Bestimmung der Blutsenkung. Von Firmen werden verschiedene Blutabnahmesets zur Bestimmung der BSG angeboten.

Diese können sich in verschiedener Hinsicht  unterscheiden, wie z.B.: der Art der Ablesung bzw. dem Messprinzip, dem Ausgangsprobenmaterial, der Probenmenge (Mikromethoden), der Messdauer (Schnellsenkung), im technischen Aufwand und der Berücksichtigung hygienischer Aspekte (geschlossene Systeme).

„TEST 1  2.0“, vollautomatisierte BSG-Methode der Fa. ALIFAX/Padua

Diese weitverbreitete BSG–Bestimmung der Fa. ALIFAX/Padua ermöglicht neben einer Verbesserung der präanalytischen und analytischen Bedingungen, eine rasche und hygienische Abarbeitung.

Messprinzip:   Photometrische, gestoppte Kapillar-Flusskinetikanalyse der Erythrozyten aus EDTA-Vollblut

Eine in einer Kapillare mittels Pumpe in Bewegung gesetzte EDTA–Blutsäule wird gestoppt und das Durchlicht wird photometrisch an einer definierten Stelle der Kapillare zu Beginn (0 sec.) und dann über 10 sec. weitere 1000 Mal gemessen. Nach dem Trägheitsprinzip bewegen sich die Erythrozyten, nach Abstoppen des Blutflusses, in der Kapillare weiter und es kommt am Messpunkt zu einer kontinuierlichen Verdichtung der Blutsäule durch die auflaufenden Erythrozyten. Dieser Vorgang wird als kinetisches Messsignal aufgenommen und an den 1h-Wert der klassischen Westergren – BSG adjustiert. Die Packungsgeschwindigkeit ist dabei vorwiegend abhängig von der Konzentration der eingangs erwähnten „Akut-Phase-Proteine“.

Diese neuartige BSG-Bestimmungsmethode korreliert gut mit der Westergrenmethode, liefert allerdings höhere Messwerte als die Westergrenmethode.

Vorteile dieser Methode

  • Die Bestimmung erfolgt aus EDTA-Blut (violettes Blutbildröhrchen) und benötigt nur eine geringe Probenmenge. Die Abnahme eines schwarzen Citratröhrchens ist nicht mehr erforderlich, für Blutbild, BSG und gegebenenfalls HbA1c ist ein Blutbild-Röhrchen ausreichend.
  • Die Messung ist bis zu 24h nach Blutabnahme (Lagerung bei RT) gewährleistet; damit ist ein Probenversand innerhalb eines Tages gut möglich.
  • Kurze Messzeit – Kein Warten auf einen Befund wegen fehlender BSG-Bestimmung.
  • Hohe Reproduzierbarkeit und analytische Robustheit: keine Beeinflussung durch Unterfüllung des Röhrchens, keine Abhängigkeit vom HKT, keine Beeinflussung durch wechselnde Temperaturen. Daher auch besser geeignet für Verlaufskontrollen.

Referenzbereiche der kapillarphotometrischen BSG-Methode (TEST1 2.0):

  Alter (Jahren) mm/h
Kinder Bis 14 < 25
 
Frauen 15 – 50 < 35
  51 – 70 < 40
  über 70 < 45
 
Männer 15 – 50 < 25
51 – 70 < 35
über 70 < 45

 

Die Referenzbereiche basieren auf Daten von Plebani und wurden medizinisch sinnvoll auf- bzw. abgerundet. Plebani et al. veröffentlichten 2001 in Clin Chem Lab Med; 39 (5): 451-454 eigene, nach Geschlecht und Alter getrennte Referenzbereiche für unverdünnte, mit EDTA-antikoagulierte Proben. Zusätzlich können Bereiche für Kinder bis 14 Jahre und die Altersgruppe über 70 Jahre definiert werden. Es wird nur der 1h-Wert angegeben, der 2h-Wert entfällt (die Bestimmung des 2h-Wertes bringt keine zusätzliche Information: Lothar Thomas, Labor und Diagnose, 8. Auflage, S 1276)

 

Eintrag aktualisiert am: 14. Februar 2024